Rezension zu: Vera Bücker: Niedergang der Volkskirchen - was kommt danach?, Münster 2005

von

Jürgen Voß: Schleichender Verfall der Volkskirchen in einer Ruhrgebietsstadt. Hohe Akzeptanz - wenig Teilhabe?
in: Stadtforschung und Statistik. Zeitschrift des Verbandes Deutscher Städtestatistiker, 1 /2006, S.63

Keine andere Region der alten Bundesrepublik hat in den letzten fünf (!) Jahrzehnten - die ersten Feierschichten im Steinkohlebergbau datieren vom Februar 1958 - so dramatische Umbrüche erlebt wie das Ruhrgebiet. Allein der fast totale Verlust von "Kohle und Stahl" hat 700.000 Arbeitsplätze vernichtet und in den Großstädten dieser Region einen beispiellosen Bevölkerungsverlust hervorgerufen.
Dass dieser Strukturwandel auf alle Lebensbereiche gewirkt hat, beweist eine Studie, die die Historikerin Vera Bücker jetzt vorgelegt hat. Am Beispiel der Stadt Oberhausen untersucht sie mit Hilfe der Daten der städtischen Statistik die Haltung der Oberhausener Bevölkerung zu den beiden großen Kirchen. Die Datenbasis besteht zum einen aus den klassischen Bevölkerungsdaten, zum anderen aus den Daten einer Bürgerbefragung aus dem Jahr 2000.
Bei dieser Datengrundlage können die Ergebnisse nicht wirklich überraschen. Doch es erstaunt, wie prägnant die Einstellungen zu den beiden Kirchen anhand von wenigen Kennziffern und Fragstellungen heraus gearbeitet werden können.
Bedingt durch Austritte, Sterbeüberhang, aber auch durch Zuwanderung sind nur noch 70% der Oberhausener Bevölkerung katholisch oder evangelisch, mit - schon jetzt absehbar - weiter sinkender Tendenz. Während Kommunion und Konfirmation schon wegen der "schönen Geschenke" für die Kinder und Jugendlichen einen immer noch hohen Stellenwert haben, verliert die kirchliche Trauung mehr und mehr an Bedeutung: Nur noch die Hälfte der katholischen Ehepaare lassen sich kirchlich trauen. Wenn's ans Sterben geht, erfüllt die Kirche dagegen die an sie gestellten Erwartungen noch zu 100%, sie ist unverzichtbar, jedenfalls für die, die in ihr geblieben sind.
Ansonsten findet das Leben weitgehend ohne Kirche statt, sie wird zwar von 93% der Befragten in ihrer Existenz bejaht (selbst von Konfessionslosen zu 67%), aufgesucht wird sie aber nur noch selten. Sie ist unverzichtbar für fierliche Anlässe, aber sonst kaum zu "gebrauchen". Dennoch bezeichnet sich die Mehrzahl der Befragten nach wie vor als "christlich". Es besteht somit eine tiefe Kluft zwischen "der persönlichen Bedeutung der Kirche und dem subjektiven Christsein". Vielleicht deshalb, so die Autorin, "weil die Kirchen Fragen beantworten, die keiner stellt, und Probleme lösen, die keiner hat". Insgesamt eine lesenswerte und sehr nachdenklich stimmende Arbeit, über die auch methodisch ein positives Resümee gezogen werden kann. Es zeigt sich nämlich, wie aufschlussreich statistische Daten interpretiert und wie verständlich sie aufbereitet werden können.